(...) Meine Eltern gaben mir den Freibrief zu entscheiden, ob Lennys Band auf deren runden Geburtstag nächstes Jahr spielen sollte oder nicht. Sie legten jedoch das Höchstgebot auf sechshundert Euro fest. Mit dem Geld in der Tasche machte ich mich Freitagabend auf den Weg ins Jugendzentrum. Der Parkplatz sah auf den ersten Blick komplett überfüllt aus, aber ich hatte Glück und fand noch freie Stellen etwas weiter vom Eingang entfernt. Zahlreiche Gäste drängten in das alte Backsteingebäude. Ich konnte Menschenaufläufe noch nie leiden, aber da musste ich jetzt durch. Schließlich wollte ich diesen Kerl wiedersehen! Neben dem Eingang stand ein großer Tisch und an der Wand dahinter hing ein Plakat mit der Aufschrift »Anmeldung Versteigerung«. Ich trat näher und wurde gleich von einer sympathischen Dame begrüßt. Sie erklärte mir die Regeln, überprüfte meine Volljährigkeit, notierte meinen Namen und händigte mir ein Schild mit der Bieternummer vier aus.
Kurze Zeit später hielt ein älterer Herr eine kleine Eröffnungsrede und danach traten Rabia und Torben auf, bewaffnet mit einer Akustikgitarre. Die Stimmen der beiden harmonierten wunderbar. Plötzlich schob sich Lenny an mir vorbei. Das ging so schnell, dass er mich gar nicht wahrgenommen hatte. Ich sah ihm hinterher, doch er verschwand in der Menge. Mein Puls hatte sich beschleunigt und ich war unruhiger geworden, obwohl ich ihm nicht mal in seine unglaublichen Augen gesehen hatte.
Die erste Versteigerung endete mit vierhundert Euro und viel Applaus. Dann war es endlich soweit. Vier gutaussehende junge Männer, darunter auch Lenny, betraten die Bühne. Der Moderator stellte die Band vor und schon legten sie mit »Two Princes« von den Spin Doctors los. Ich fand die Jungs großartig und schon nach wenigen Sekunden stand für mich fest, dass ich sie für den Geburtstag meiner Eltern haben wollte. Mein Blick blieb fast permanent an Lenny kleben. Mir gefiel, wie seine Mimik immer wieder wechselte und die Musik damit untermalte. Für mich war das wie Kino, weshalb ich ihn mit dem Handy filmte und fotografierte. Blöderweise stellten sich zwei langbeinige Blondinen vor mich und versperrten die Sicht. Nach ein paar Songs war das Spektakel leider schon wieder vorbei, die Gäste klatschten Beifall und einige pfiffen, während ich laut jubelte. Bei der Versteigerung kam ich kaum mit. Innerhalb kürzester Zeit stiegen die Gebote und kamen meiner Sechshundert-Euro-Grenze gefährlich nah.
»Fünfhundert!«, rief ich und streckte meine Nummer so hoch wie möglich über die Köpfe der Menschen vor mir.
»Wer bietet mehr? … Fünfhundert zum Ersten, zum Zweiten, zum Dritten. Der Live-Auftritt von Letosamax geht an die Bieternummer vier.“ Der Moderator spickte auf seinem Zettel, wer hinter dieser Nummer steckte. „Hanna Wendtnagel. Vielen Dank und viel Spaß mit den Jungs!«
Sie machten die Bühne für den Bauchredner mit Drachenpuppe frei, den ich mir eine Weile ansah, doch dann hielt ich Ausschau nach Lenny. Da ich ihn auf die Schnelle nirgends ausfindig machen konnte, ging ich zurück zu dem Tisch am Ausgang, um die Versteigerung abzuschließen.
»Hallo! Ich würd gern für das Gebot bezahlen«, sagte ich und gab meine Bieternummer zurück.
»Moment mal! Du bist Nummer vier?«, hörte ich Lennys Stimme links neben mir. Sofort spürte ich Druck in meinem Bauch. Um meine Nervosität zu überspielen, lächelte ich ihn frech an.
»Hi Lenny!«
»Dann hast du uns ersteigert?«
»Nur auf dem Papier. Meine Eltern zahlen den Spaß. Sie wollen eine Live-Band an ihrer gemeinsamen Geburtstagsparty und würden sich auch sehr freuen, wenn ihr länger als eine Stunde bleibt. Natürlich gegen Bezahlung.«
»Aber die kennen uns doch überhaupt nicht!«
»Ich hab ihnen erzählt, dass ihr gut seid und wie ich sehe, hab ich Recht behalten. Ihr werdet mich also nicht blamieren.«
Lenny wirkte ziemlich perplex und suchte kurz den Blickkontakt zu einer sehr attraktiven Brünetten in nächster Nähe, die uns gerade beobachtete. Sie fühlte sich offenbar ertappt, schaute weg und unterhielt sich weiter mit dem Bassisten der Band.
»Shit! Wann ist der Geburtstag?«, rief Lenny entsetzt und packte mich mit beiden Händen dramatisch an den Oberarmen.
»Der Termin steht noch nicht genau fest, jedenfalls erst nächstes Jahr. Keine Panik!«
Er ließ von mir ab und ich bemerkte, wie uns die Brünette abermals musterte. Wer bist du? Seine Freundin?
»Dann bekomme ich bitte fünfhundert Euro und deinen Ausweis brauche ich bitte auch nochmal«, erklärte die Frau hinter dem Tisch und ich gab ihr, was sie verlangte. Zu guter Letzt musste ich noch unterschreiben und bekam ein Dokument ausgehändigt. Dieses faltete ich zusammen und ließ es in meiner Handtasche verschwinden.
»Her mit dem Schnaps! Wir sind die Größten!«, grölte der Sänger, der in einer Gewinnerpose an uns vorbeimarschierte, dicht gefolgt vom Gitarristen.
»Willst du auch einen? Wir genehmigen uns draußen am Auto einen Tequila, der wahrscheinlich fünfzig Grad warm ist«, sagte Lenny.
Tequila. Igitt! »Okay«, erwiderte ich lächelnd. Wir folgten seinen Bandmitgliedern und seiner potentiellen Freundin nach draußen. Der Bassist holte Tequila und Plastikschnapsbecher aus dem Kofferraum und schenkte jedem etwas ein.
»Leute, das ist übrigens Hanna. Sie hat unseren Auftritt ersteigert«, stellte Lenny mich vor.
»Hanna, willkommen in unserer Runde und danke für dein hohes Gebot! Das wissen wir sehr zu schätzen und im Namen des Jugendzentrums möchte ich auch nochmal sagen: Dankeschön!«, sagte der Bassist, faltete seine Hände und verbeugte sich kurz.
»Gern geschehen.«
»Also, ich bin Toni, das sind Sandro, Max, Nicole und die Flachpfeife da neben dir kennst du ja wahrscheinlich schon.«
Da musste ich auf der Stelle gehässig lachen. Der bissige Humor hatte was. Lenny fand Tonis Spruch nicht gut. Das konnte ich ihm ansehen.
»Auf euren ersten, offiziellen Auftritt! Auf Letosamax!«, rief Nicole, wir stießen an und tranken den viel zu warmen Schnaps. Ich hatte also recht mit meiner Vermutung: Die Band gab es wohl noch nicht so lange, deshalb auch keine Homepage. Der Tequila hinterließ ein pelziges Gefühl auf meiner Zunge und ich war glücklicherweise nicht die Einzige, die beim Schlucken eine Grimasse machte. Dann kam mir aus dem Nichts die Erleuchtung über den Bandnamen.
»Letosamax – Jetzt verstehe ich: Lenny, Toni, Sandro, Max.«
»Richtig«, sagte Toni und zwinkerte mir zu.
»Und welche Funktion hast du?«, fragte ich Nicole. Ich musste irgendwie in Erfahrung bringen, welche Rolle sie in Lennys Leben spielte. Auf keinen Fall wollte ich mich in eine bestehende Beziehung einmischen. Sandro, der Sänger, legte seinen Arm um sie und erklärte: »Nicole ist unsere Band-Mama.«
»Ach, echt? Lenny, wieso weiß ich nichts davon?«, protestierte Nicole und die beiden lächelten einander einen Moment lang so an, als würden sie sich nahestehen. Dann sah er aber gleich wieder zu mir.
»Wer noch?«, erkundigte sich Toni, der gerade die nächste Trinkrunde ausgeben wollte.
»Für mich nicht, danke«, antwortete ich. Sandro verlangte dringend Nachschub und Max und Nicole ebenfalls. Lenny hingegen lehnte ab.
»Ich werde mich dann auf den Weg machen«, sagte ich, woraufhin Lenny mich skeptisch anblickte.
»Es ist Freitagabend, nicht mal neun Uhr und du willst dich vom Acker machen?«
»Ja … Ich hab euch erfolgreich ersteigert und dich damit irritiert. Ich hab also alles erreicht, was ich wollte. Ich kann gehen. Einen schönen Abend noch, Lenny.«
Ich drehte mich um und ließ ihn einfach stehen, genau wie er mich im Freibad einfach hatte sitzen lassen. Nach nicht mal vier Sekunden holte er mich ein, hielt mich am Arm fest und blickte mir tief in die Augen. Das kam unerwartet. Lenny veränderte seine Mimik und Gestik. Plötzlich stand da wieder dieser Casanova vor mir und fesselte mich mit seinem Blick. Ich fand es witzig, wie sehr er sich anstrengte, besonders betörend auszusehen mit lasziv nach unten hängender Unterlippe und leicht zur Seite geneigten Kopf. Zugegeben: Es gelang ihm. Er sah rattenscharf aus! Doch ich bemühte mich, mein körperliches Verlangen im Zaum zu halten. Du kriegst mich nicht einfach so! Außerdem wusste ich immer noch nicht, was zwischen ihm und Nicole lief.
»Du hast was vergessen!«, behauptete er mit glitzernden Augen.
»Das da wäre?«, fragte ich schmunzelnd. Dann zog er mich unverhofft an sich und wollte mich küssen. Vergiss das ganz schnell wieder, Playboy! Ich wich aus, sodass er nicht mal die Chance hatte, meine Wange zu erwischen. Zumindest war ich mir jetzt sicher, dass es sich bei Nicole nicht um seine Freundin handelte. Sonst hätte er nicht versucht, mir wenige Meter von ihr entfernt einen Kuss zu stehlen.
»Gute Nacht, Lenny«, wünschte ich ihm lächelnd, wand mich ab und ging zu meinem Auto. Wie gern ich mich umgedreht hätte, um sein verdattertes Gesicht zu sehen! Einen selbstsicheren Auftritt hinzulegen war mir wichtiger. (...)